Der große Dramatiker Cao Yu wurde vor 90 Jahren geboren. In der Theatergeschichte Chinas spielt er eine bedeutende Rolle. Das Ensemble des Volkskunsttheaters, in dem Cao Yu gearbeitet hatte, brachte in diesem Jahr drei seiner Stücke neu auf die Bühne. Sie haben nach den Aufführungen eine heftige Diskussion ausgelöst.
CAO Yu war der Begründer des chinesischen Sprechtheaters. Er hat das westliche Theater mit der chinesischen Kunst und dem Alltagsleben der Chinesen meisterhaft verbunden. Durch seine Bemühungen wurde das Theater als eine westliche Kunstart von den Chinesen akzeptiert und dann in China weiter entwickelt. Heute gilt Cao Yu als der größte Dramatiker in der modernen Geschichte Chinas.
Cao Yu wurde am 14. September 1910 in Tianjin geboren. Sein Vater war Sekretär von Li Yuanhong, dem damaligen Staatspräsidenten der Republik China. Im Alter von zehn Jahren begann Cao Yu Englisch zu lernen. 1930 ging er an die Qinghua-Universität in Beijing und studierte westliche Literatur. 1934 veröffentlichte er sein Erstlingswerk, das Drama ,,Gewitter“, das bald aufgeführt wurde und großes Aufsehen erregte. Es folgten die Theaterstücke ,,Sonnenaufgang“, ,,Pekinger“ und ,,Freies Feld“. 1952 gründete Cao Yu das Volkskunsttheater in Beijing, dessen Leiter er bis zu seinem Tod war. ,,Unter der Führung von Cao Yu und mit den Bemühungen seiner Mitarbeiter seit mehr als 40 Jahren ist das Volkskunsttheater zu einem weltbekannten Theater chinesischer Prägung geworden“, so lautete eine offizielle Beurteilung.
Anläßlich seines 90. Geburtstags wurden in diesem Jahr mehrere Gedenkfeiern veranstaltet. Den nachstehenden Beitrag ,,Cao Yu hat noch etwas zu sagen“ schrieb der ehemalige stellvertretende Chefredakteur unserer Zeitschrift, Zhang Yan.
Cao Yu hat noch etwas zu sagen
Von Zhang Yan
Seit langem bin ich als Journalist tätig und ein leidenschaftlicher Besucher von Cao Yus Sprechtheater. Vor 50 Jahren sah ich in Chongqing das Drama ,,Gewitter“, meine erste Bekanntschaft mit einem Werk von Cao Yu. Heute möchte ich anläßlich der Gedenkfeierlichkeiten etwas über ihn schreiben. Weil Cao Yus Frau Li Yuru ein Buch mit dem Titel ,,Noch etwas zu sagen“ herausgegeben hat und ich davon tief bewegt bin, habe ich meinem Artikel den Titel ,,Cao Yu hat noch etwas zu sagen“ gegeben.
Im März 1980 flog Cao Yu auf Einladung des Komitees für amerikanisch-chinesischen Wissenschaftsaustauch und der Columbia Universität in die USA. Das war sein erster Besuch in diesem Land seit 1946 und wurde damals vielbeachtet, weil es nach der Gründung der Volksrepublik China der erste Austausch im Bereich Theater zwischen beiden Ländern war. Damals war ich Journalist von ,,People's Daily“ in Washington und sollte über Cao Yus Besuch berichten.
Cao Yu und seine Frau Li Yuru (rechts) zusammen mit Zhang Yan, dem Verfasser dieses Beitrags, und dessen Frau Foto: von Zhang Yan angeboten
Weil Cao Yu schon über 70 Jahre alt war. wollten die Gastgeber sichergehen, daß er täglich weniger als sechs Stunden beschäftigt sei. Ebenfalls aus Gesundheitsgründen sollte Cao Yu von der Presse abgeschirmt werden. Allerdings wurde dabei die Hartnäckigkeit der Journalisten unterschätzt. Es kam dann so, daß Cao Yu während seines Aufenthalts in den USA immer mehr als sechs Stunden beschäftigt war. Bereits einige Monate vor seinem Besuch hatte man seine Dramen ,,Sonnenaufgang“ und ,,Pekinger“ in New York einstudiert. ,,Chinabegeisterung“ und ,,Cao-Yu-Fieber“ waren zwei Worte, die damals durch die amerikanische Presse gingen.
Während seines Aufenthalts in den USA besuchte Cao Yu größere und kleinere Theater, hielt Vorträge, gab Journalisten Interviews und hatte Begegnungen mit amerikanischen Dramatikern. Auch nahm er sich Zeit dafür, verarmte Schauspieler zu besuchen. Als sein ständiger Begleiter habe ich ihn dadurch gut kennengelernt.
Eines Abends gingen wir in ein Theater, um uns die berühmte Musikkomödie ,,Chorus Line“ anzuschauen. Cao Yu war von der Aufführung fasziniert. Am Schluß kam der Manager des Theaters zu Cao Yu und fragte, ob er mit den Schauspielern zusammentreffen wolle. Ohne einen Augenblick zu zögern, ging Cao Yu hinter die Kulissen. Er gratulierte den Schauspielern und lobte das Stück als sehr eindrucksvoll.
Szenenfoto von einer Aufführung des Dramas ,,Pekinger“
Als die Dramen ,,Pekinger“ und ,,Sonnenaufgang“ in New York aufgeführt wurden und man ihn als Ehrengast empfing, erinnerte er sich an seinen Amerika-Besuch von 1946, als niemand ihn beachtete, obwohl er damals schon längst bekannt war. Der Grund dafür war, daß er damals aus einem halbkolonialen und -feudalen Land kam. Deshalb war es leicht zu verstehen, daß er auf die Frage, warum er die beiden Dramen geschrieben habe, sagte: ,,Ich will dadurch zum Ausdruck bringen, daß weder der Feudalismus noch der Kapitalismus China retten können. Die Geschichte hat bewiesen, daß das chinesische Volk heute den richtigen Weg geht.“
In den USA wurde Cao Yu mehrmals dazu eingeladen, sich amerikanische Theateraufführungen anzuschauen. Aber nur das von Arthur Miller geschriebene Drama ,,Tod eines Handlungsreisenden“ gefiel ihm gut. Dieses Drama gilt als eine Autobiographie des Autors und stellt den Lebenslauf eines Intellektuellen dar. der viele Wechselfälle des Lebens erlebt hatte: Ehescheidung der Eltern in der Wirtschaftskrise der 30er Jahren, Aufenthalt in einem deutschen Konzentrationslager im Zweiten Weltkrieg, weißer Terror in den 50er Jahren, Verrat von Freunden, zwei gescheiterte Ehen, Selbstmord der geliebten Frau. In diesem Drama verbinden sich Erinnerungen mit Traumbildern. Die Bühne der damaligen Aufführung in New York befand sich in der Mitte des Theaters und war von den Zuschauern umgeben. So machte nicht nur das Drama an sich, sondern auch die neuartige Aufführungsweise einen tiefen Eindruck auf Cao Yu. Er erging sich in nicht enden wollenden Lobreden. Später bekam er die Gelegenheit, mit Arthur Miller, den er gerne kennenlernen wollte, über Probleme der chinesischen Theaterreform zu sprechen. Cao Yu wollte aber auch weniger bekannte Dramatiker kennenlernen. So besuchte er in Washington ein Theater, das nur über 70 Plätze verfügte und finanziell abhängig von Spenden war. Dieses Theater wollte jungen Dramatikern Gelegenheit geben, ihre Stücke aufführen zu lassen. Bei seinem Besuch unterhielt sich Cao Yu lange mit einigen der jungen Schriftsteller und mit Regisseuren.
Durch das Buch ,,Noch etwas zu sagen“ habe ich erst erfahren, daß Cao Yu nach seinem Amerika-Besuch 1980 ein ,,Tagebuch über meine amerikanische Reise“ geschrieben hatte. Darin wurde auch mein Name mehrmals erwähnt, und er meinte, ich hätte ihm viel geholfen. So war er mir z. B. dankbar dafür, daß ich ihm empfohlen hatte, sich vor Amerikanern nicht zu bescheiden zu verhalten, weil sie unsere chinesische Bescheidenheit mißverstehen könnten.
Nach China zurückgekehrt, besuchte Cao Yu meine Familie in Beijing und brachte eine Torte mit. Später, während er lange Zeit im Krankenhaus lag, waren meine Frau und ich oft bei ihm. Jedesmal erinnerte er sich gern mit mir an seine amerikanische Reise von 1980.
In dem Buch ,,Noch etwas zu sagen“ findet man vieles über Cao Yus Liebe zu seiner Familie und zu seinen Freunden, seine Ansichten und seine Selbstanalyse. Im Nachwort schreibt Li Yuru: ,,Für meinen Mann waren persönliche Gefühle lebenswichtig. Ohne Gefühl und Liebe konnte er nichts tun“.
Mit sich selbst war Cao Yu überhaupt nicht zufrieden. ,,In meinem ganzen Leben habe ich nur zehn Dramen geschrieben“, sagte er einmal. ,,Ich habe zu viel Zeit vergeudet mit anderen Dingen. Ich war zu faul.“
In Wirklichkeit mußte Cao Yu in seinen letzten Jahrzehnten zu viel Dinge tun, auf die er sich nicht gut verstand. Wie alle wissen, hatten chinesische Intellektuelle viel unter den damaligen Verhältnissen zu leiden. Doch gerade wegen seiner unerbittlichen Selbstkritik hat Cao Yu großen Respekt gewonnen.
Arthur Miller (links), Cao Yu und Ying Ruocheng (rechts), der damals die Hauptrolle in ,,Tod eines Handlungsreisenden“ von Arthur Miller spielte
Die Dramen ,,Gewitter“, ,,Sonnenaufgang“ und ,,Freies Feld“
Die Dramen ,,Gewitter“, ,,Sonnenaufgang“ und ,,Freies Feld“ wurden von Cao Yu in den 30er und 40er Jahren geschrieben. Es sind seine bekanntesten Werke. Der historische Hintergrund ist jeweils das alte China, in dem Chinesen unter der von Klassenunterschieden geprägten Gesellschaft und unter ausländischen Aggressionen litten.
In dem Drama ,,Gewitter“ läßt Zhou Puyuan, Besitzer eines Bergwerks, seine Haussklavin Shi Ping, die ihm zwei Söhne geboren hatte, im Stich. Der ältere Sohn, Zhou Ping, bleibt bei ihm. Der jüngere Sohn, der später Lu Dahai heißt, bleibt bei seiner Mutter, die schließlich einen Mann namens Lu Gui heiratet, mit dem sie eine Tochter hat. Die Tochter heißt Si Feng. Nun sind Lu Gui und seine Tochter Si Feng als Diener bei Zhou Puyuan tätig, Lu Dahai arbeitet in dessen Bergwerk. Fan Yi, die junge Frau von Zhou Puyuan, hat heimlich mit Zhou Ping ein Liebesverhältnis. Als sie erfährt, daß Zhou Ping in Wirklichkeit in Si Feng verliebt ist, läßt sie Shi Ping, die Mutter von Si Feng, zu sich kommen, um ihr zu sagen, daß sie ihre Tochter nach Hause holen soll. Bei dieser Gelegenheit sieht Zhou Puyuan zufällig in seinem Haus Shi Ping, seine ehemalige Geliebte, wieder. Zhou Ping und Si Feng, die erfahren, daß sie Geschwister sind, begehen Selbstmord. Zhou Chong, der Sohn von Fan Yi und heimlich ebenfalls in Si Feng verliebt, stirbt an einem elektrischen Schlag.
Die Familie von Zhou Puyuan und das Hausmädchen Si Feng in dem Stück ,,Gewitter“
Das Drama ,,Sonnenaufgang“ schildert das Leben der Prostituierten Chen Bailu. Durch ihre Beziehungen mit vielen Menschen wird eine Gesellschaft dargestellt, in der der Starke den Schwachen verschlingt. Über dieses Werk sagte Cao Yu einmal: ,,Wenn ich sehe, daß so viele Arme von Reichen unterdrückt werden, gerate ich in Zorn. Diese mit allen erdenklichen Verbrechen besudelte alte Gesellschaft muß verschwinden.“
Das Drama ,,Freies Feld“ wird in der Form eines Experimentiertheaters aufgeführt Foto: Zhang Jingde
Das Partyhäschen Chen Bailu und der Bankier Pan Yueting in dem Drama ,,Sonnenaufgang“ Fotos von Su Dexin, falls nicht anders angegeben
Ren Ming ist der Regisseur von ,,Gewitter“ in der neuen Bühnenfassung. Seiner Meinung nach sind die häßlichen Erscheinungen Chinas in den 30er und 40er Jahren, die Cao Yu in seinem Drama beschrieben hat, auch heute zu finden. ,,Unter den Zuschauern“, sagt er, ,,gibt es auch Pan Yuetings (ein Bankier im Drama). Und manche junge Frau von heute könnte eine Chen Bailu sein.“ Aus diesem Grund ließ er die Bühne ganz modern ausstatten. Es wurden Handys und Computer benutzt, moderne westliche Musik ertönte. Ren Ming hofft, daß die Zuschauer durch seine Inszenie-rung dieses Drama besser verstehen können. ,,Lebe nicht mehr, wenn du arm bist. Man kann nie reich werden, wenn man sich anständig verhält“, sagt in dem Stück eine Person. Dazu Ren Ming: ,,Diese Meinung ist heute auch sehr verbreitet. Auch gibt es heute wieder viele Prostituierte wie Chen Bailu, und die Beziehungen zwischen den Menschen sind meistens von wirtschaftlichen Interessen abhängig. So können alte Werke manche Erscheinungen unseres Zeitalters widerspiegeln.“
Das Drama ,,Freies Feld“ beschreibt eine Rachegeschichte zwischen zwei Familien. Jiao Yanwang bemächtigt sich des Bodens von Qiu Hu. Qiu Hus Vater wurde einst lebendig begraben und seine jüngere Schwester an ein Freudenhaus verkauft, während Qiu Hu selbst fälschlich als Bandit beschuldigt wird und acht Jahre im Gefängnis sitzt. Er wird so schwer geschlagen, daß er geschädigt bleibt. Seine Verlobte Jin Zi hat ebebfalls ein trauriges Schicksal. Sie wird gezwungen, den Sohn von Jiao Yanwang zu heiraten. Als Qiu Hu aus dem Gefängnis kommt, tötet er alle Familienangehörigen von Jiao Yanwang außer Jin Zi. Beide wollen das Weite suchen, werden aber von der Polizei gefaßt.
Cao Yu wollte nicht die Rache als Hauptmotiv des Dramas angesehen wissen. ,,In diesem Drama“, sagte er, ,,werden vor allem das Leben der Bauern unter feudaler Unterdrückung und ihr allmähliches Erwachen dargestellt. Jiao Yanwang tut Böses, ohne zu wissen, daß, wo es Unterdrückung gibt, auch Widerstand gibt“.