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Frauen in der chinesischen Mythologie und Geschichte

Year:2000 Issue:12

Column: Kultur und Kunst

Author: Nacherzählt von Atze Schmidt

Release Date:2000-12-01

Page: 47-52

Full Text:  

Wu Zetian, Chinas umstrittene Kaiserin: ,,Intelligent, kompetent, intrigant, skrupellos, mordlüstern...“


Viele Geschichten ranken sich um die Person der Kaiserin Wu Zetian, verständlicherweise, denn sie war (nach der Kaiserin Lü Zhi der Westlichen Han-Dynastie - Regierungszeit 188-180 v.Chr.) die einzige Frau, die den chinesischen Kaiserthron inne hatte. Ihre Regierungszeit währte von 690 bis kurz vor ihrem Tod im Jahr 705. Tatsächlich aber herrschte sie eine weit längere Zeitspanne, nämlich ein halbes Jahrhundert, denn Kaiser Gao Zong, ihr Gemahl, war ein kränklicher und charakterlich schwacher Mensch, und so lag die Macht praktisch bereits ab 655 in ihrer Hand. Chronisten und Historiker haben sich seit jeher schwer getan mit dieser Kaiserin. Einerseits sind ihre politischen Fähigkeiten und Erfolge nicht zu leugnen, andererseits kursieren über sie so schauerliche Geschichten, daß sie, wenn dies denn alles zuträfe, ein wahres Monster gewesen sein müßte. Wir werden im folgenden nichts davon verschweigen, doch unsere Zweifel an manchen ihrer angeblichen Schandtaten einfließen lassen.


ZUR Regierungszeit des zweiten Kaisers der Tang-Dynastie, Tai Zong, hatte ein Beamter in der Hauptstadt Chang'an, dem heutigen Xi'an, eine ausnehmend hübsche Tochter. Ein Wahrsager, so wird berichtet, prophezeite dem Mädchen, es würde einmal Herrscherin über das Reich der Mitte sein. Das Mädchen, damals noch fast ein Kind, hieß Wu Zetian.

Im Jahre 638, Wu Zetian war gerade vierzehn, wurde sie dazu ausersehen, am Kaiserhof Dienst zu tun. Der Bedarf an schönen Mädchen war groß, und so wurde sie neben vielen weiteren Neuankömmlingen eingeführt in die Pflichten einer Hofdame.

Es war ein höchst langweiliges Leben. Mochten andere mit dem ewigen Einerlei zufrieden sein oder gar Gefallen finden an den endlosen Zeremonien, sie jedenfalls hatte sich alles spannender und unterhaltsamer vorgestellt, aber da war kein Weg zurück. Sie würde hier ihre Jugend sinnlos vertun, hier alt werden müssen. Die Gunst eines Prinzen zu gewinnen, eine Aussicht, mit der sie ihre Mutter beim schmerzlichen Abschied zu trösten versucht hatte, war ausgeschlossen. Es gab noch hübschere Hofmädchen als sie, und sie hatte auch nicht das Talent zu schmeicheln und vor Liebenswürdigkeit überzufließen wie andere. Es war ihr schon zuwider, solches Getue mitanzusehen.

So verging fast ein Jahrzehnt. Wu Zetian hatte begonnen, sich in ihr Schicksal dreinzufinden, als mit einem Mal alles anders zu werden schien.

Der Kaiser hatte ein neues Pferd. Es war ein wunderschönes Tier, indes von so hitzigem Temperament, daß niemand es zu bändigen vermochte. Eines Tages sollten die Kaiserin und ihr Gefolge den prächtigen Rappen bewundern. Die Damen hielten alle respektvollen Abstand zu dem ungebärdigen Tier, und so fragte der Kaiser launig: ,,Wer von euch will mir diesen Wildfang wohl zähmen?“ In dem Ausbruch von Heiterkeit, der dem kaiserlichen Spaß folgte, vernahm man plötzlich eine feste Stimme: ,,Ich würd es versuchen, Majestät.“ Aller Blicke richteten sich auf Wu Zetian, die vorgetreten war und nach einem vollendeten Knicks nun vor dem Kaiser stand.

Wie überliefert, soll der Kaiser, überrascht und entzückt zugleich, das Wort wie folgt an sie gerichtet haben: ,,Interessant, was Wir da hören. Ihr habt also Erfahrung mit Pferden? Wir sind begierig zu vernehmen, wie Ihr Unser ungezogenes Pferd bändigen wollt.“ Sie benötige dazu drei Dinge, erwiderte Wu Zetian, nämlich eine Peitsche, eine Keule und einen Dolch. ,,Zuerst werde ich das Pferd die Peitsche spüren lassen. Gehorcht es nicht, schlage ich ihm die Keule auf den Kopf. Bleibt es weiter ungehorsam, schneide ich ihm die Kehle durch.“

Mit diesem Auftritt hatte die inzwischen 23-Jährige nun die Aufmerksamkeit auf sich gelenkt. Dem Pferd blieb die von ihr beschriebene Behandlung zwar erspart, doch die Geschichte machte am Kaiserhof rasch die Runde und kam so auch dem Kronprinzen Li Zhi zu Ohren. Er, vier Jahre jünger als Wu Zetian und zaghaft von Natur, fühlte sich fortan zu ihr hingezogen. Dies umso mehr, nachdem sie während eines ihrer Zusammentreffen zu beider Freude gewisse Initiativen ergriffen hatte. So entwickelte sich eine enge Beziehung, die sie jedoch geheim zu halten suchten, was ihnen auch gelang.

Im 23. Jahr seiner Regierung, 649, starb Kaiser Tai Zong. Den Thron bestieg, 22 Jahre alt, sein Sohn Li Zhi, bekannt unter dem Kaisernamen Gao Zong. Damit hatten die heimlichen Treffen der jungen Liebenden ein Ende. Denn nach damaligem Brauch mußten mit dem Tag des Thronwechsels alle kinderlos gebliebenen kaiserlichen Konkubinen, zu denen auch Wu Zetian gehörte, den Palast verlassen.

Den von der Ausweisung betroffenen Damen bot sich die Möglichkeit, im Nonnenkloster Ganye eine Bleibe zu finden. Bitter entschloß auch Wu Zetian sich, diesen Weg zu gehen. Im Alter von 26 Jahren sah sie keine Chance mehr, ihrem Leben noch irgendwelche irdischen Freuden abzugewinnen.

Herbstlicher Nebel lag über der Stadt, als sich der Zug schwarzgekleideter Frauen vom Kaiserhof zum Kloster bewegte. Der dumpfe Klang der Klosterglocke empfing sie. Für Wu Zetian begann damit eine Zeit trostloser Einsamkeit, doch diese währte nur ein Jahr, und von da an sollte sie, der man einst prophezeit hatte, Herrscherin über das Reich der Mitte zu werden, unaufhaltsam nach oben steigen.

Es jährte sich der Todestag von Kaiser Tai Zong, und der neue Kaiser begab sich in das Kloster Ganye, um dortselbst zu beten. Schon den folgenden Tag wußte die ganze Hofgesellschaft vom Zusammentreffen des jungen Herrschers mit der Nonne Wu Zetian.

Hier nun nahm die Geschichte die entscheidende Wende. Eifersucht und verletzter Stolz waren, wie so oft, die Auslöser einer Kette von dramatischen Ereignissen. Die junge Kaiserin war eifersüchtig auf eine Hofdame namens Xiao, denn an dieser Dame zeigte der Kaiser zunehmendes Interesse. Und so beschloß die Kaiserin, Wu Zetian wieder an den Hof zu holen, um dem Gemahl eine abwechslungsreichere Kost zu gönnen und damit den Appetit auf seine Lieblingsspeise zu schmälern.

Zunächst schien auch alles nach Wunsch zu verlaufen. Die Wiederbelebung seiner Beziehung zu Wu Zetian entflammte in Kaiser Gao Zong eine Leidenschaft, die bei ihm, dem sonst so Schüchternen, überraschte. Erschüttert sah sich die Dame Xiao von einem zum anderen Tag ins Abseits gestellt. Die Kaiserin war zufrieden, denn sie ahnte nicht, wohin die Dinge treiben würden. Und die von der Klosterinsassin zur kaiserlichen Lieblingskonkubine aufgestiegene Wu Zetian begegnete der Kaiserin mit so vollendet gespielter Dankbarkeit, daß jene, in naiver Verkennung der Wirklichkeit, ihre neue Rivalin gegenüber dem Kaiser oft in höchsten Tönen lobte.

Es dauerte mehrere Jahre, bis der Frau an der Seite des dritten Herrschers der Tang-Dynastie die Augen geöffnet wurden. Da aber war es schon zu spät. Wu Zetian hatte dem Kaiser inzwischen zwei Söhne geboren und war nun dessen ranghöchste Nebenfrau. Die Kaiserin mußte erkennen, daß ihr schlauer Plan, mit Hilfe von Wu Zetian die Konkubine Xiao auszuschalten, nur zu erfolgreich gewesen war. Wie konnte sie sich der neuen Favoritin ihres Gemahls noch erwehren? Sie versuchte es, indem sie die einst gehaßte Konkubine Xiao zu ihrer Verbündeten machte. Doch auch gemeinsam konnten sie gegen Wu Zetian, die das Spiel am Kaiserhof nun perfekt beherrschte, nichts mehr ausrichten.

Um diese Zeit dürfte in Wu Zetian der Plan, die Kaiserin zu verdrängen und ihren Platz einzunehmen, bereits ausgereift gewesen sein. Darauf deutet ihr nunmehr gezieltes Vorgehen. Hofbeamte, die sie an sich band, observierten das Tun und Lassen der Kaiserin, und was zu deren Nachteil auszulegen war, erfuhr der Kaiser umgehend von Wu Zetian selbst. So dauerte es nicht lange, bis der leicht zu beeinflussende Herrscher sich von seiner Gemahlin abzuwenden begann.

Die nun folgende Episode gehört zu jeden Geschichten, die, wie eingangs erwähnt, Zweifel ob ihrer Wahrhaftigkeit angezeigt erscheinen lassen. Es ist ein Drama in zwei Akten. Während der erste Akt vom Tod eines Kleinkindes handelt, sterben im zweiten nach einer grausamen Tortur die Kaiserin und die Konkubine Xiao. Die Geschichte sei hier so geschildert, wie sie angeblich überliefert und später aufgezeichnet wurde.

Wu Zetian bekam ein drittes Kind, diesmal eine Tochter, und der Kaiser schloß die kleine Prinzessin fest in sein Herz. Eines Nachmittags kündigte eine Hofdame den Besuch der Kaiserin an. Wu Zetian schickte die Dienerinnen fort und verließ dann selbst das schlafende Kind. Wenig später kam die Kaiserin. Ihr fragendes Rufen: ,,Wie geht es unserem kleinen Liebling?“ blieb ohne Antwort. Behutsam öffnete sie den Raum, in dem die Wiege stand, sah das schlafende Baby, wartete eine Weile und verließ, als niemand sich zeigte, das Zimmer.

Später an diesem Nachmittag erschien der Kaiser, wie es seine Gewohnheit war, um die Prinzessin zu sehen. ,,Alle lieben die Kleine“, sagte lächelnd Wu Zetian, während sie sich über die Wiege beugte. Mit einem Aufschrei fuhr sie zurück, taumelte gegen die Wand und rief in einem fort: ,,Das Kind! Das Kind! Unser Kind!“

Bleich lag das Baby in den Kissen, der entsetzte Kaiser befühlte sein kaltes Köpfchen, das Kind atmete nicht mehr, es war tot.

Während die Dienerinnen, aufgeschreckt von den Schreien aus dem Kinderzimmer, zusammenliefen, erfuhr der Kaiser aus den unter Schluchzen hervorgestoßenen Worten von Wu Zetian, daß sie, nachdem das Kind fest eingeschlafen war, einer Einladung der Dame Xiao gefolgt sei. Erst wenige Augenblicke vor dem Eintreffen Seiner Majestät sei sie zurückgekommen. Da sie weiterer Äußerungen offensichtlich nicht mehr fähig war, verschonte sie der Kaiser und verhörte die starr vor Schrecken umherstehende Dienerschaft. Befragt, ob während der Abwesenheit der Dame Wu jemand in der Kammer des Kindes gewesen sei, antwortete eine der Hausdamen, auf Anweisung der Herrin habe niemand den Raum betreten, weil die Prinzessin in ihrem tiefen Schlaf nicht habe gestört werden sollen. Allerdings habe die Kaiserin kurz nach dem Kind gesehen.


Zeichnung: Zhang He

Zeichnung: Zhang He

,,Die Kaiserin?“ Wu Zetian hatte ihre Sprache wieder gefunden, und ebenso laut wie anklagend rief sie aus: ,,Was hat das zu bedeuten? War die Kaiserin allein mit dem Kind?“ Die Hausdame, die schon zuvor das Wort ergriffen hatte, erwiderte: ,,Die Kaiserin kam alleine, hielt sich eine kleine Weile bei der Prinzessin auf und ging dann wieder.“

Völlige Stille herrschte in dem Raum, in dem das tote Kind noch lag. Der Kaiser ließ sich erschöpft auf einen Stuhl sinken, das Dienstpersonal wagte kaum zu atmen, Wu Zetian schlug die Hände vors Gesicht. Sie unterbrach das Schweigen endlich mit der einen Frage: ,,Majestät, wie konnte sie das tun?“

Die Nachricht von der Ermordung der kleinen Prinzessin verbreitete sich in Windeseile. Kaiser Gao Zong setzte, ohne eine Untersuchung des Falles anzuordnen, die Kaiserin auf der Stelle ab. Nicht wenige Hofbeamte waren von ihrer Unschuld überzeugt, fanden jedoch kein Gehör. Zur neuen Kaiserin erhoben wurde Wu Zetian.

Im zweiten Akt dieses Dramas sieht man die Ex-Kaiserin in einem zum Palast gehörigen Gefängnis sitzen. Sie hat Gesellschaft, denn die Dame Xiao, einstige Favoritin des Kaisers unter seinen Konkubinen, ist wegen Beihilfe zur Mordtat gleichfalls eingekerkert. Sie kauern in einem fensterlosen Raum, nur die Türe hat ein Loch, durch welches dreimal täglich Nahrung gereicht wird. In diesem Loch erscheint eines Tages das Auge des Kaisers...

Kaiser Gao Zong leidet zu dieser Zeit bereits unter häufigen Anfällen von Kopfschmerz mit einhergehenden Trübungen des Geistes. Er kann in dem dunklen Raum nichts erkennen, und so ruft er durch das Loch nach den beiden Frauen. Er hört Flüstern und leises Schluchen, und dann vernimmt er die wohlbekannte Stimme seiner langjährigen Gemahlin: ,,Unsere Unschuld, Majestät, haben wir beteuert, doch sitzen wir hier in Schmutz und Finsternis. Wir flehen Euch an, uns wieder das Licht der Sonne erblicken zu lassen. Wenn Ihr uns diese Gnade erweist, dann gebt diesem Platz den Namen ,Haus der Vergebung'!“ Haltloses Weinen folgt den Worten, und der Kaiser weint mit und verspricht: ,,Wir werden es veranlassen.“

Diese Szene läßt an Bühnenstücke denken, in denen der Katastrophe noch ein Auftritt vorangestellt ist, der eine letzte Chance zur Vermeidung des Schlimmsten eröffnet. Insofern ist die Geschichte um Wu Zetian eine sehr spannende, gewinnt aber in dem hier als ,,Drama“ bezeichneten Teil dadurch keineswegs an Glaubwürdigkeit.

,,Keine andere Gesellschaft hat ihre Unternehmungen über einen so langen Zeitraum - nahezu 4000 Jahre - so genau aufgezeichnet wie China“, schreibt der bekannte Sinologe Jonathan D. Spence. Doch es gibt viele Lücken, mit denen sich, weil Historiker sie nicht füllen konnten, die Geschichtenerzähler beschäftigt haben. Und so finden sich zwischen nachprüfbaren Fakten oft Schilderungen von Begebnissen, in die eine Menge Phantasie eingeflossen ist. Auch die näheren Umstände des Aufstiegs der Kaiserin Wu Zetian zur mächtigsten Frau Chinas scheinen kräftig ausgeschmückt worden zu sein. Zumindest was die Art des Todes ihrer Vorgängerin betrifft sowie die Rolle, die Wu Zetian dabei gespielt haben soll, sind an der verbreiteten Darstellung Zweifel angebracht. Geschildert wird der Ablauf wie folgt:

Kaiser Gao Zong war am Kaiserhof kein freier Mann. Wohin er ging und was er tat, alles wurde beobachtet und Wu Zetian hinterbracht. So erfuhr sie auch sofort von dem Spaziergang des Kaisers zum Palast-Gefängnis und dem belauschten Gespräch zwischen ihm und den dort einsitzenden Damen. Sie handelte schnell. Ein am Kaiserhof jederzeit einsatzbereites Strafkommando war binnen weniger Minuten vor Ort, zerrte die beiden Frauen aus ihrer Dunkelhaft ans Tageslicht und schlug sie mit schweren Stöcken, ,,bis ihr Fleisch und Blut vermischt waren.“

Der Zorn der neuen Kaiserin hatte sich damit noch nicht gelegt, und so befahl sie, Hände und Füße der bereits Halbtoten abzuschneiden und die Körper in herbeigeschaffte Weinfässer zu stecken. Als erste habe der Tod die Dame Xiao erlöst, heißt es. Die Ex-Kaiserin Wang habe noch die Kraft besessen, zu prophezeien, sie würde im nächsten Leben eine Katze werden und Wu Zetian eine Maus. Deshalb, so das Ende dieser Episode um Wu Zetian, sei das Halten von Katzen während der Zeit ihrer Herrschaft am Kaiserhof verboten gewesen.

Die Phantasie der Geschichtenerzähler ging noch weiter. So tief vermochten sie sich in das Seelenleben der Kaiserin der Tang-Dynastie einzufühlen, daß sie gar deren Träume kannten: Wiederholt seien ihr, in Blut watend und entsetzlich entstellt, die Kaiserin Wang und die Konkubine Xiao entgegengekommen. Und dies sei die Erklärung dafür, weshalb Wu Zetian schließlich die Hauptstadt Chang'an, den Schauplatz ihrer ersten Greueltaten, verlassen und Luoyang, die ,,Östliche Hauptstadt“, zu ihrer Residenz gemacht habe.

Man schrieb nun das Jahr 655. Gerade fünf Jahre waren vergangen, seit Kaiserin Wang in der Absicht, sich einer Rivalin zu erwehren, Wu Zetian aus dem Kloster geholt hatte. Jetzt war die Kaiserin tot, die Dame Xiao war tot, und Wu Zetian war Kaiserin. Sie war 32 Jahre alt und sollte von nun an 50 Jahre über China herrschen. Widerstand gegen ihren Machtanspruch erstickte sie im Keim. Kaiser Gao Zong, ihr Gemahl, war ein Schwächling, mit dem sie umsprang, wie es ihr gefiel. Einen Minister trieb sie in den Selbstmord, einen anderen, der sich zum Wortführer jener gemacht hatte, die ihre Absetzung forderten, ließ sie hinrichten. Fortan konnte sie schalten und walten, ohne sich über lästige Gegner ärgern zu müssen. Die Opposition, soweit es sie noch gab, war eine schweigende.

Wu Zetian festigte ihre Position und berief befähigte Männer in hohe Ämter. Kaiser Gao Zong war nur noch nominell der Herrscher über China. De facto war er die Marionette seiner Gemahlin. Wer konnte ihr die Macht noch streitig machen? Niemand, es sei denn einer ihrer Söhne, deren sie zuletzt vier hatte.

Jahre später, als der Kaiser erkrankte, bereitete sich ihr Erstgeborener, Kronprinz Li Hong, auf die Übernahme der Staatsgeschäfte vor. Der junge Mann, der seine übermächtige Mutter zu kritisieren nicht zögerte, wenn ihm eine ihrer Entscheidungen mißfiel, genoß bei der Mehrheit der Minister hohen Respekt. Wu Zetian wäre, wenn dieser Sohn tatsächlich den Thron erklommen hätte, ihrer Herrschaft jedenfalls verlustig gegangen. Doch dazu kam es nicht, denn Li Hong starb eines plötzlichen Todes. Der Kronprinz habe vergiftetes Essen zu sich genommen, hieß es. Geklärt wurde der Fall indessen nicht.

Der Kaiser erholte sich wieder, neuer Kronprinz wurde der zweite Sohn des kaiserlichen Paars. Er konnte sich dieser Würde jedoch nur kurze Zeit erfreuen. Wu Zetian ersetzte ihn durch ihren dritten Sohn Li Xian, der schließlich nach dem Ableben seines Vaters im Jahre 683 als vierter Kaiser der Tang-Dynastie den Thron bestieg. Sein Kaisername: Zhong Zong. Schon nach wenigen Monaten setzte Wu Zetian ihn wieder ab zugunsten seines jüngeren Bruders Li Dan, der dann einige Jahre immerhin nominell regierte. In Wahrheit gab die Mutter die Macht nicht aus der Hand, und der frustrierte junge Kaiser, in den Gesichtsbüchern als Kaiser Rui Zong vermerkt, dankte im Jahre 690 ab. Über die Nachfolge schien es keine Diskussion gegeben zu haben.

September 690: Wu Zetian, nun 67 Jahre alt und voller Tatendrang wie eh und je, verkündet von dem soeben bestiegenen Thron den Beginn einer neuen Ära. Sie leistet sich einen unerhörten Affront gegen die kaiserliche Familie Li, indem sie den Dynastie-Namen Tang verwirft und unter der Bezeichnung Zhou gleichsam eine neue Dynastie ausruft. Sodann beginnt sie zu regieren, wie sie es schon lange getan hat, doch mit dem Unterschied, daß sie nun wirklich und wahrhaftig Kaiserin ist.

Sie führt von Anfang an ein straffes Regiment. Vom Kanzler bis zum kleinen Beamten, alle bekommen den frischen Wind zu spüren. Wer nichts taugt, wird umgehend entlassen oder, bei Verfehlungen, in Grenzregionen verbannt oder gar hingerichtet. Andererseits eröffnet sie talentierten Leuten aus allen Bevölkerungskreisen vorher nie gekannte Chancen, indem sie das System der Prüfungen zur Auswahl künftiger Beamter reformiert. Der Zugang zu Amt und Würden, bislang nur Angehörigen adliger oder zumindest namhafter Familien vorbehalten, wird nun jedermann möglich. Die Kluft zwischen Aristokratie und einfachem Volk verringert sich.

Diese für die damalige Zeit bemerkenswerte Leistung wird von Historikern hochgerühmt. Doch es war diese Leistung, mit der sie sich erbitterte Feinde machte, und um sich ihrer zu erwehren, war ihr jedes Mittel recht. Die mächtigen Clans und hohen Beamten mochten, verständlicherweise, dem Schwinden ihres Einflusses nicht tatenlos zusehen. Schon bald formierte sich eine Opposition, die sich für die Absetzung der Kaiserin, für die Thronübernahme durch einen Angehörigen der alten Kaiserfamilie Li und für die Wiedereinführung des Dynastie-Namens Tang stark machte. Sogar ein Umsturz mit Waffengewalt war in Vorbereitung.

Wu Zetian schlug zurück, und zwar mit aller Rücksichtslosigkeit und Härte. An willfährigen Helfern war kein Mangel. So baute sie einen durchorganisierten Unterdrückungsapparat auf, dem ein Heer von Spitzeln zur Verfügung stand. Der politische Einfluß der einst mächtigen Familien des Reichs nahm weiter ab, und schließlich zerbrach am harten Durchgreifen der Kaiserin jeglicher Widerstand.

Jahre der wirtschaftlichen Blüte folgten, die Bevölkerung vermehrte sich, ein Zeitalter des allgemeinen Wohlstands schien auszubrechen. Doch die Geschichte kennt nur selten Zeiten einer langen Kontinuität, und so waren auch hier bereits die Keime gelegt, die sich schon bald zu zerstörerischen Schlingpflanzen auswachsen sollten: Der Beamtenapparat blähte sich auf und verschlang einen Großteil der Staatseinnahmen. Die Reichen wurden verschwenderisch, Korruption griff um sich. Die Errichtung immer neuer Paläste und Tempel ging über die Kraft von Staat und Volk. Die Kaiserin selbst drängte zu deren Bau, insonderheit der buddhistischen Tempel. Als Eisen und Kupfer knapp wurden und die Baumeister nicht weiter wußten, soll sie angeordnet haben, Feldgeräte einzuschmelzen.

Strenge Buddhistin, die Wu Zetian in der letzten Phase ihres Lebens war, mochte sich ihr Blick für die harten Realitäten des Regierens getrübt haben. Erhoffte sie im Angesicht der wachsenden Probleme Hilfe von ganz oben? Darauf hätte sie dann vergeblich gewartet, denn von Buddha kam kein Heil, noch kam Nothilfe von anderer Seite. Statt dessen gab es bald neue Konflikte: Aus den Grenzgebieten wurden Übergriffe fremder Volksstämme gemeldet, die das Reich bedrohten; weite Teile des Landes wurden heimgesucht von Überschwemmungen, andere von Dürre, und Überlebende zogen zu Hunderttausenden bettelnd durch die übrigen Provinzen. Die kaiserliche Regierung aber fuhr fort mit der Rekrutierung von Zwangsarbeitern für den Ausbau von Stadtmauern und für die Waffenproduktion, denn sie befürchtete Aufstände der verzweifelten Bauern. Doch die Gefahr von Aufständen wurde größer, je mehr man das Volk drangsalierte.

Gab es noch Leute von Rang und mit Einfluß, die sich einen kühlen Kopf bewahrt hatten und den Zustand des Reiches nüchtern zu analysieren imstande waren? Bekannt ist immerhin, daß sich die Gegner der mächtigen Frau auf dem Thron zu einer stärker werdenden Fraktion zusammenfanden. Zu einer Absetzung der Kaiserin kam es jedoch nicht. Erst eine zunehmende Hinfälligkeit der nun Achtzigjährigen löste das Problem. Vom Kanzler und von Ministern bedrängt, dankte sie schließlich nach langem Zögern und mit großem Widerwillen ab. Man schrieb das Jahr 705. Kaiser wurde ihr Sohn Li Xian, der schon 21 Jahre vorher auf dem Thron gesessen hatte, damals nur für wenige Monate. Nun waren ihm fünf Regierungsjahre vergönnt, und ihm folgte sein jüngerer Bruder, der gleichfalls schon Erfahrungen als Kaiser hatte, gesammelt vor der Thronbesteigung seine Mutter.

Wu Zetian aber war, als sie die Macht aus den Händen gab, am Ende ihres Lebens angelangt. Sie starb im elften Monat des Jahres 705. Bestattet wurde sie neben ihrem Gemahl Gao Zong, und auf ihr Geheiß wurde ihr ein Gedenkstein ohne jede Inschrift errichtet. Ein ungewöhnlicher letzter Wille, den man allgemein dahingehend interpretiert, daß sie es späteren Generationen überlassen wollte, ihre Verdienste zu wägen.

Das Ergebnis der Bewertung ihrer Persönlichkeit und Leistungen ist, wie bereits erwähnt, ein sehr zwiespältiges. Ihr werden Intelligenz und politische Kompetenz bescheinigt, wobei ihr jedoch letztere im hohen Alter offensichtlich abhanden kam. Doch in moralischer Hinsicht ist das Urteil insgesamt vernichtend: ,,Intrigant und skrupellos“ war sie nach Ansicht von Lu Zhewen, Autor historischer Werke und Präsident der Chinesischen Gesellschaft für Kulturrelike. Eine ,,berüchtigte Kaiserin“ nennt sie Prof. Wolfgang Bauer, renommierter Sinologe und Verfasser vielbeachteter China-Bücher. Die schlimmste Verurteilung aber findet sich bei Marion Gräfin von Borries, die in ihrem historischen Roman ,,Die Weiße Tara“ die Kaiserin Wu Zetian als ,,mordlüsternes Dämonenweib“ bezeichnet.


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