BEI der Olympiade in Sydney haben chinesische Sportler 28 Goldmedaillen gewonnen und damit bei den Chinesen eine patriotische Begeisterungswelle ausgelöst. Für die breiten Massen sind die Olympiasieger Helden. Die Kommentare in den Massenmedien und im Internet drückten Stolz aus. Die Sportler werden überall, wo sie auftauchen, von Menschenmengen umringt und bejubelt.
Ruhmreich zurückgekehrt, erhalten die Sportler stattliche Prämien. Neben einer Belohnung durch das Staatliche Generalamt für Sport bekommen sie noch Prämien von Unternehmen und von ihren Heimatstädten. Beispielsweise wird die Sportlerin Tao Luna, die die erste Goldmedaille für die chinesische Delegation bei der Olympiade in Sydney gewonnen hat, voraussichtlich 10 Millionen Yuan bekommen, umgerechnet mehr als 1,2 Millionen US-Dollar. Wang Liping, die einzige Sportlerin, die eine Goldmedaille in Leichtathletik gewonnen hat, hat bereits über eine Million Yuan eingenommen. Für chinesische Verhältnisse sind das verblüffend hohe Geldsummen.
Aus der Sicht der Chinesen verkörpert eine Olympia-Medaille die Stärke des Landes. Das ist wohl ein Grund, warum die Chinesen so großen Wert auf die Olympischen Spiele legen. Diese Sichtweise steht im Zusammenhang mit der Geschichte voller Erniedrigungen in Chinas neuerer Zeit. Da wurden Chinesen als ,,Kranke Ostasiens“ bezeichnet, und China wurde wegen seines politischen, wirtschaftlichen und militärischen Rückstands der Erniedrigung und Herabwürdigung ausgesetzt. Aus diesem Grund wird heute die Olympiade als internationale Bühne zur Schau Stellung des nationalen Images angesehen.
Liu Changchun war der einzige Sportler aus China bei der 10. Olympiade in Los Angeles 1932
Unendliche Niederlagen
Die Verbindung Chinas mit der Olympiade läßt sich bis auf die erste Olympiade zurückverfolgen. Das Internationale Olympische Komitee schickte seinerzeit ein Einladungsschreiben nach China, doch die sich der Welt verschließende Qing-Dynastie hatte nicht die geringste Kenntnis von dieser Organisation, das Einladungsschreiben blieb unerwidert. Dies hinderte jedoch das chinesische Volk nicht daran, sich über die Olympischen Spiele zu informieren. Damals schrieben Intellektuelle über die Olympiade in Zeitungen und Zeitschriften. Sie stellten die Geschichte der Olympiade vor, hielten Reden und veranstalteten Seminare.
Wenig später hörte man die Parolen ,,Möglichst frühe Teilnahme an der Olympiade anstreben.“ und ,,Möglichst frühe Veranstaltung einer Olympiade in China“. Im Geist dieser Parolen wurde zum ersten Mal in der chinesischen Geschichte ein nationales Sportfest veranstaltet, und China war auch ein Initiator der ,,Olympischen Spiele in Fernost“.
Luan Jujie (links) wurde bei der 23. Olympiade Meisterin im Florett. Sie war die erste Asiatin, die eine Goldmedaille im Fechtsport gewonnen hat
1922 wurde Wang Zhengyan zum Mitglied des Internationalen Olympischen Komitees gewählt. Damit war eine Voraussetzung für die Weiterentwicklung des Sports in China gegeben. Es wurde dann der Chinesische Verein zur Förderung des Sports gegründet -die erste offizielle Institution für den Sport in China. Im Zusammenhang damit wurden Disziplinen wie Leichtathletik, Schwimmen, Turnen, Tennis, Gewichtheben, Boxen und Basketball in China eingeführt. Bei der 8. Olympiade nahmen drei Tennisspieler aus China an einem schaukampfartigen Wettspiel teil.
Erst 1932 schickte China richtige Teilnehmer zur Olympiade. An der 10. Olympiade in Los Angeles nahm die erste chinesische Delegation mit sechs Sportlern teil. Liu Changchun belegte im 100- und 200- Meter-Lauf den fünften und sechsten Platz im Vorlauf.
An der darauffolgenden Olympiade nahmen 69 chinesische Sportler teil, und zwar in den Disziplinen Basketball, Fußball, Leichtathletik, Gewichtheben, Boxen und Radrennen. Allerdings kam nur der Stabhochspringer Fu Baolu ins Finale, wo er scheiterte. Die Teilnahme an der Olympiade 1948 war noch miserabler, 33 Sportler sind ausnahmslos ausgeschieden, und wegen unzureichender finanzieller Mittel konnten sie nicht einmal die Fahrkosten für die Rückkehr bezahlen.
Das Regime der Kuomintang ließ den Sport völlig außer acht, da konnte nur eine kleine Anzahl von Leuten Sport treiben. Die Niederlagen bei den Olympiaden waren deprimierend.
Befreiung von der Schmach
Als die Kommunistische Partei Chinas begann, das Land zu regieren, wurde der Verbesserung des Gesundheitszustands des Volkes große Aufmerksamkeit geschenkt, und entsprechend stieg auch die Stellung des Sports.
Mit der Gründung der Volksrepublik China wurde auch der Gesamtchinesische Sportverein gegründet, und drei Jahre später wurde die Staatliche Kommission für Sport ins Leben gerufen. Danach wurden Kommissionen auf verschiedenen Ebenen organisiert. In den 80er Jahren kam es zur Gründung von insgesamt 15 Organisationen für Sport auf nationaler Ebene. Gegründet wurden die
Chinesischen Sportvereine für Mittelschüler, für Studenten, für Behinderte und für alte Menschen, der Chinesische Verein für Drachenbootrennen, der Chinesische Radsportverein, ferner ein Angelverein, ein Brieftaubenverein und der Chinesische Verein für traditionelle Kampfkunst. Durch diese Organisationen wird seither die Leitung verschiedener Sportarten im ganzen Land verstärkt.
In China wurde von Anfang an ein staatliches System für den Sport aufgebaut. Die Kommissionen für Sport auf der Ebene der Provinzen oder Städte erhalten Geldmittel von der Regierung. Obwohl diese Geldmittel begrenzt sind, wurden damit beachtliche Erfolge erzielt. Bei den Olympiaden hat China seine Stärken im Tischtennis, Federball und Turnen unter Beweis gestellt. Die Grundlage dafür wurde in den 50er und 60er Jahren geschaffen. Als Kind kann man in eine Freizeit-Sportschule gehen, danach gibt es Sport-Mittelschulen und Sport-Hochschulen. Durch dieses vollständige System sind zahlreiche Meister wie der jetzige Weltmeister Kong Linghui und die Weltmeisterin Liu Xuan herangebildet worden. Beide wurden in der Sportschule ausgewählt. In ihren Fußstapfen treten jetzt viele Kinder.
Regelmäßige Veranstaltungen von Wettkämpfen bieten gute Gelegenheiten für die Provinzen und Städte, ihr sportliches Niveau zu präsentieren. Nach einer Vorschrift des Staatlichen Generalamts für Sport werden die Punkte, die Sportler bei einer Olympiade erwerben, in die gesamten Punkten der Provinz bzw. Stadt einbezogen.
Bei der 25. Olympiade gewann Huang Zhihong die Silbermedaille im Kugelstoßen
Das Jahr 1984 war für China ein Jahr des Stolzes. Bei der Olympiade in Los Angeles beendete Xu Haifeng im Schießsport die Geschichte, daß China keine olympische Goldmedaille bekam. Chinesische Sportler gewannen dann insgesamt 15 Medaillen und erreichten den vierten Platz in der Medaillenwertung. China hat in etlichen Disziplinen wie Tischtennis, Turnen, Wasserspringen, Gewichtheben und im Schießsport mehrfach seine Überlegenheit demonstriert. Und die chinesische Frauenvolleyballmannschaft hat fünfmal hintereinander die Weltmeisterschaft errungen sowie Pokalspiele gewonnen und schließlich olympisches Gold geholt.
Die Präsentation der eigenen Stärke hat den Chinesen Stolz und Selbstvertrauen gebracht. Sie haben die psychische Last des ,,Kranken Ostasiens“ abgeworfen. Im Zug der wirtschaftlichen Entwicklung und der Entfaltung der Stärke des Landes haben sie große Zuversicht bekommen. Und durch Austausch und Begegnungen mit anderen Ländern hat sich auch ihr einst engherziges nationales Gefühl verändert.
Nun beginnen die Chinesen, Medaillen und Niederlagen gelassener hinzunehmen als früher. Als die chinesische Frauenfaßballmannschaft bei der Olympiade eine unerwartete Niederlage erlitt und zurückkehrte, wurde sie am Flughafen von vielen Menschen begrüßt, und niemand beschwerte sich darüber, daß sie die in sie gesetzten Hoffnungen nicht erfüllt hat. Stattdessen machte man sich sorgenvoll Gedanken, ob der Frauenfußballmannschaft Nachwuchs fehle. Als Kong Linghui Weltmeister wurde, sagte er, daß sein Gegner Waldner schon immer sein Idol sei. Als chinesische Journalisten Xiong Ni fragten, was er dachte, als er im Rückstand von Punkten stand, sagte er: ,,Ich habe an nichts gedacht, ich war ruhig und stand eigentlich in einem Wettkampf gegen mich selbst.“
Viele ausländische Massenmedien wurden durch die über das gewöhnliche Niveau hinausreichende Leistung der chinesischen Sportler überrascht. Sie führten dies auf die Reduzierung des psychischen Drucks durch die Trainer zurück. Das mag ein Grund sein. Der Leiter der chinesischen Delegation bei der Olympiade, Yuan Weimin, hat bei der Zusammenfassung positiver Erfahrungen folgendes festgestellt: ,,Die umfassende, systematische und ausreichende Vorbereitung hat eine solide Grundlage für die Teilnahme an der Olympiade geschaffen. Für die chinesische Delegation war die Vorbereitung ein großes Projekt. Es setzt sich zusammen aus staatlicher Investition, umfangreichem Training, wissenschaftlicher Beteiligung und Erforschung von Informationen sowie medizinischer Betreuung. Die verschiedenen Teile griffen harmonisch ineinander. Durch dieses Projekt wurde unsere Delegation zu einer Truppe, die diszipliniert und von Kampfgeist erfüllt war.“
Von den 18 Ärzten, die nach Sydney mitreisten, waren 10 Professoren. Neben der Behandlung von Verletzungen im Wettkampf hatten sie noch eine wichtige Aufgabe: sie waren für Regulierung des psychischen Zustands der Sportler verantwortlich.
Im Hintergrund arbeitete noch ein starkes Team von Wissenschaftlern. Mittels modernster Methoden ermitteln sie den besten Zustand von Sportlern vor einem großen Wettkampf. Nur in diesem Zustand kann die sportliche Hochleistung garantiert werden. Die Wissenschaftler haben ferner die Nahrungsmittel, Getränke und Arzneimittel bestimmt. Ein Mitglied dieses Teams, Frau Professor Feng Meiyun von der Beijinger Sporthochschule, sagt: ,,Unsere wissenschaftliche Sportforschung verfolgt das Ziel, daß der Sportler nicht nur gute Leistung bringt, sondern auch seine sportliche Laufbahn verlängert.“
Die Olympiade führt zu einem Aufschwung des Sports. Allerorts entwickeln sich die Sportarten schnell, in denen China seine Überlegenheit demonstrieren konnte. So ist in China Tischtennis genau so verbreitet wie Softball in den USA.
Auch viele inoffizielle Institutionen investieren mittlerweile in den Sport. Das Staatliche Generalamt für Sport begrüßt das vom Internationalen Olympischen Komitee ausgearbeitete Programm ,,TOP“ (The Olympic Program), bei dem es um die kommerzielle Förderung geht. Gerade mit dieser Unterstützung konnten die chinesischen Sportler vor der diesmaligen Olympiade hochwertige, teure Sportgeräte benutzen, die ihnen mit staatlichen Geldmitteln allein nicht zur Verfügung gestellt werden hätten können.
Viele Chinesen haben heute die nötige Freizeit und das Geld, sich aktiv sportlich zu betätigen. Heute gibt es in China über 600000 öffentliche Sportplätze und Sporthallen, und das ist noch zu wenig.
Allerdings hat der Sport auch in China seine negative Seite. Um die Leistung zu steigern, nehmen manche Sportler Doping-Mittel. Manche Eltern schicken ihre Kinder in die Sportschule nicht des Sports, sondern des Ruhms und erhoffter hoher Prämien wegen.